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Das Phänomen MACHT

Ein Beitrag von Ulrich zur Strassen

Die Zeit zwischen Weihnachten und der Jahreswende nutzten meine Frau und ich, um Freunde zu besuchen. Beim Kaffeeklatsch servierte uns die Gastgeberin eine Wahnsinns-Torte. Rot geworden von den vielen Komplimenten erwähnte unsere Bekannte, sie hätte so gerne den Beruf der Konditorin gelernt, aber - der Herr Papa war strikt dagegen. Und schon waren wir am Diskutieren über …

Das Phänomen MACHT

… verteufelt, faszinierend, unheimlich, verherrlicht, Klischee belastet, verlockend, tabuisiert, bewundert, widersprüchlich und dabei …
immer allgegenwärtig!

MACHT – Sprengstoff oder Bindemittel in Beziehungen?

Macht hat häufig ein negatives Image. Unsichtbar bleibt dabei für so manchen die positive Seite der Macht: stabilisierend, konstruktiv, gestaltend und entwickelnd.

Wie wirkt Macht – auf mich selbst und auf meine Mitmenschen?

Warum ist Macht untrennbar mit uns Menschen und insbesondere mit zwischenmenschlichen Beziehungen verbunden?

Und vor allem:
Wie können wir bewusst, verantwortungsvoll und konstruktiv mit Macht umgehen?

Stellen Sie sich folgendes vor:
Mit großem Aufwand, neuen Vorgehensweisen, trotz mancher Rückschläge gelingt es Ihnen, ein anspruchsvolles Problem zu lösen. Oder Sie haben eine Idee im Kopf und schaffen es, diese – in der Tat – wie gedacht zu realisieren. Sie haben etwas erfolgreich er-schaffen, etwas ge-macht. Sie sind erfüllt, stolz, zufrieden, fühlen sich voller Energie und sofort bereit für neue, vielleicht sogar noch größere Herausforderungen.

Oder – andere Szenen in der Zusammenarbeit:
(Alle folgenden Beispiele basieren auf Aussagen von Teilnehmern in unseren Seminaren.)

  • Einem Vorgesetzten gelingt es, mit neuen Strukturen und Abläufen im Team wieder Stabilität, Qualität und Sicherheit zu etablieren.
  • Ein Chef setzt kurzfristig andere Prioritäten und erzeugt damit bei seinen Mitarbeitern Druck.
  • Zwei Kollegen streiten sich, wie das vorhandene Budget genutzt werden soll. Keiner der beiden mag nachgeben.
  • Ein neuer Angestellter zeigt seiner Chefin erste eigene Entwürfe und erhält dafür das erhoffte positive Feedback.
  • Der Sicherheitsbeauftragte einer Firma deckt Fehlverhalten eines Mitarbeiters auf, weist diesen auf Konsequenzen hin und kontrolliert bei ihm nun regelmäßig die notwendigen Standards.  Dieser reagiert  genervt – seine Kollegen dagegen sind erleichtert.

Alle diese Situationen haben eines gemeinsam: Es geht um Macht.

Allgegenwärtige Macht

Macht ist allgegenwärtig, ob wir wollen oder nicht, bewusst oder unbewusst – in der großen Politik, in Vereinen, in Freundschaften, in der Familie, im Supermarkt und selbstverständlich auch in jedem Unternehmen.

Das Wort „Macht“ entsprang einer der ältesten Schichten der deutschen Sprache, dem Indogermanischen. Auch später im Gotischen und im Althochdeutschen finden wir Vorläufer wie etwa „magan“. Ursprünglich bezog es sich eher auf „das Können, das Vermögen, die Möglichkeit“ eines Menschen und nicht so sehr auf die Tat an sich. Heute umfasst der Begriff beide Aspekte, das Vermögen und die Ausführung.

Diese Kombination bewirkt etwas:
Wir schaffen, wir gestalten, wir überzeugen, wir verführen, wir glänzen, wir drohen, wir motivieren, wir frustrieren – und die Mitmenschen reagieren darauf. „Das macht was mit mir“ oder umgekehrt: „das macht doch nichts“, sagen manche umgangssprachlich oder auch erbost: „der kann mich mal…“.

Die Schattenseite – erlebte, schäbige Willkür

Macht hat häufig ein negatives Image. Vielen Menschen ist sie unheimlich. Sie lehnen sie ab oder verteufeln sie – denn ihnen kommen in erster Linie negative Erlebnisse in den Sinn. Beispielsweise:

  • Ein Mitarbeiter ignoriert wiederholt Spesenregelungen. Anstatt ihn in seine Schranken zu verweisen, wird das gesamte Team mit strengeren Vorgaben konfrontiert.
  • Ein Kollege erlebt immer wieder respektlose Witze und Kommentare über seine Unpünktlichkeit. Er fühlt sich zunehmend ausgegrenzt.
  • Der Chef erkauft sich das Wohlverhalten eines Mitarbeiters. Er bewertet ihn im Mitarbeiterjahresgespräch übertrieben positiv. Die Prämie ist entsprechend hoch.  Die Kollegen bekommen davon Wind.
  • Eine Investitionsentscheidung ist überfällig. Trotz Nachfragen des Mitarbeiters reagiert der Vorgesetzte nicht. Kein Ja, Kein Nein, keine Antwort …
  • Aufgrund des hohen Auftragseingangs macht die Mannschaft regelmäßig Überstunden. Der Vorgesetzte verlässt dagegen meistens pünktlich die Firma.

Die Zahl der Beispiele ist beliebig lang und Sie könnten hier sicher viele eigene Erfahrungen beisteuern.

In diesen Momenten erleben wir schäbige Willkür, fühlen uns unterdrückt, zum Teil sogar ohnmächtig. Unser Gehirn versucht in diesen Erlebnissen eine Regel zu finden, die da lauten kann: „Macht ist böse und gefährlich“. Für uns ist das Gegenüber der „Übeltäter“ – wir das „Opfer“. Als Folge lernen wir klassische Abwehrmechanismen wie etwa sich unterwerfen, den anderen ignorieren oder wie Don Quichote verzweifelt aber wirkungslos dagegen anzukämpfen. Alternativ dazu versuchen andere Menschen, sich selbst möglichst viel Macht anzueignen – getreu dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“.

Doch was ist, wenn wir selbst zu Tätern werden?

  • In der täglichen E-Mail Flut übersehen wir die geduldige Nachfrage eines Kollegen nach einer überfälligen Entscheidung. Er fühlt sich von uns ignoriert.
  • Massiver Zeitdruck sitzt uns im Nacken. Ein Kollege fordert den fälligen Bericht ein. Gereizt entfährt uns: „Du nervst mich mit deinem Zeitmanagement!“ Wortlos verlässt er das Zimmer.
  • Ein Teammitglied hat sein Projekt an „die Wand gefahren“. Wir wollen ihm „helfen“ und geben ihm im Beisein von Kollegen einen Tipp: „Das ist doch ganz einfach, mach es folgendermaßen…“ Belämmert und blamiert steht er da.

In diesen Situationen agieren wir unreflektiert, wenn auch ungewollt. Was nichts daran ändert, dass wir unser Gegenüber unter Druck setzen – er/sie sich schnell unterlegen fühlt. Erkennen wir an der Reaktion unseres Gesprächspartners noch rechtzeitig -hier läuft etwas schief – versuchen wir das Ganze zu relativieren („war nicht so gemeint“), als Versehen zu entschuldigen („das wollte ich nicht“) oder durch eine äußere Notwendigkeit zu rechtfertigen („noch keine Zeit gehabt“).
Wenn wir auch selten jemandem mit Vorsatz auf die Füße treten – oder noch seltener, in böser Absicht – für den Betroffenen ist das zweitrangig. Den Schmerz der Unter-legenheit fühlt er so oder so. Dabei ist für jede Zusammenarbeit/Beziehung Respekt und Menschlichkeit essentiell. Erlebt er ähnliche Szenen durch und mit uns mehrmals, vermutet er bestenfalls Unachtsamkeit, schlimmstenfalls Absicht. Was ist die Konsequenz? Er versucht, solchen Erlebnissen mit uns aus dem Weg zu gehen oder – startet eine Gegenattacke. Ein ungutes Machtspiel beginnt.

Macht wirkt auch positiv

Halten Sie mich bitte nicht für blauäugig. Ja, natürlich passieren genau diese Szenen täglich in der Zusammenarbeit. Zahllose Beispiele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in den vielen Führungsworkshops dokumentieren dies auf traurig-beeindruckende Weise. Und doch – wie alles im Leben – hat auch Macht eine Kehrseite.

Einige Beispiele:

  • Der Chef zeigt Flagge. In Hochdruckphasen ist er präsent, arbeitet mit der Mannschaft länger und unterstützt sie.
  • Der Geschäftsführer klärt mit der neuen Personalleiterin, welche formalen Kompetenzen sie möglichst schnell benötigt, um eigenverantwortlich ein gut funktionierendes Personalwesen im Unternehmen aufzubauen.
  • In einem Kritikgespräch weisen Sie den Mitarbeiter auf Konsequenzen hin, die durch sein Verhalten entstanden sind. Erschrocken und einsichtig ändert er sein Verhalten, um eine weitere  Eskalation zu vermeiden.

Diese Bespiele werden selten oder gar nicht mit dem Wort „Macht“ in Verbindung gebracht. Unbewusst ersetzen wir „Macht“ mit positiv belegten Begriffen wie Akzeptanz, Einfluss, Kompetenz, Charisma, cooler Chef, tolle Persönlichkeit usw. – denn Macht ist ja „böse“.

Macht „hat man nicht“

Wir erzeugen bei unseren Mitmenschen keinerlei oder eine wie immer geartete Wirkung, etwas zu machen oder zu unterlassen. Es ist ernüchternd, aber Realität: Macht ist nicht das, was wir uns einbilden zu haben, sondern ausschließlich das, was bei anderen eine Wirkung erzielt. Unabhängig davon, ob wir eine Machtform bewusst, unbewusst und damit ungewollt einsetzen: Der andere entscheidet darüber, welche Machtkonstellation er erlebt und vor allem wie er sie erlebt – negativ, gleichgültig (weil keine Wirkung auf ihn) oder konstruktiv. Die Mitmenschen geben uns Macht oder akzeptieren sie zumindest. Manchmal reicht es aus, dass sie bei uns entsprechende Kompetenzen und Möglichkeiten vermuten, um uns Macht zuzuschreiben.

Und genau umkehrt: Durch zahlreiche oder massive Vorkommnisse „ent-täuscht“ und frustriert, akzeptieren Mitmenschen unseren Einfluss nicht mehr. Sie entziehen uns zunächst punktuell und schließlich endgültig die Macht: Innere oder äußere Kündigungen im Unternehmen, beziehungsweise „Fremdgehen“ oder Scheidungen im privaten Umfeld sind die Folge.

Welche Orientierung können uns diese Überlegungen geben?

Wir tun gut daran,

  • unsere „Macht-Erfahrungen“ mit einem Perspektivenwechsel zu überdenken. Macht wirkt auch konstruktiv: Ich habe es gut ge-macht!
  • mit unserem Einfluss auf die Menschen bewusst und achtsam umzugehen. Denn sie entscheiden mit, über unsere zukünftigen Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten.

Wie immer freue ich mich über Feedback, Erfahrungen und Erkenntnisse von Ihnen!

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